„Ich bin gefangen. Gefangen in meinem eigenen Körper. Alles an mir fühlt sich falsch an. Es ist ein völliges Chaos. Jeden Tag stelle ich mir so viele Fragen. Mein Kopf platzt fast vor diesen Fragen und trotzdem ist alles, was ich fühle, nur ein großes Fragezeichen. Komplette Verwirrung und kein Ausweg auf Antwort in Sicht.“
Schon früher habe ich bemerkt, dass ich irgendwie anders bin. Dass irgendwas an mir und meinem Erscheinungsbild nicht zusammenpasst. Ich wusste zuerst nicht, wieso ich mich so fühle und was dieses Gefühl eigentlich aussagen will. Meistens verharmloste ich es und schob es auf die Pubertät. Ich dachte mir immer „So geht es bestimmt jedem. Mach dir keinen Kopf, das geht wieder weg.“ Doch das Gefühl blieb stetig da. Um mich besser zu fühlen, versuchte ich diese Fragen in mir zu beantworten und flüchtete somit in Beziehungen jeder Art, mit der Hoffnung auf Antwort. Doch egal mit wem ich meine intimen Momente teilte und ob ich diese Person liebte oder nicht, das komische Gefühl in mir ging einfach nicht weg. Es wurde immer stärker und stärker, bis ich das Schreien nach jeglichen Antworten in mir nicht mehr aushalten konnte. Das Schreien verwandelte sich irgendwann in ein Bedürfnis. In das Bedürfnis Frauenkleidung anzuziehen. Wieder und wieder versuchte ich es zu verdrängen. Doch eines Tages, als meine Freundin nicht zu Hause war, nahm ich all meinen Mut zusammen und ging ins Schlafzimmer. Ich probierte heimlich ein Kleid von ihr an. Zuerst war ich ein bisschen verwundert und unsicher, als ich mich mit diesem roten Kleid im Spiegel betrachtete, doch dann fühlte ich diese Vertrautheit in mir. Ich fing an zu grinsen und mich zu drehen. Je schneller ich wurde, desto länger wurde der Stoff, der meinen Körper umkreiste. Ich fühlte mich endlich wohl, als ich mein eigenes Spiegelbild sah. Ich wollte mehr davon. In mir entstand ein immer stärkeres Verlangen diese enganliegenden Kleider an meinem Körper zu spüren und mich im Spiegel als Frau betrachten zu können.
In diesem Moment wurde es mir klar: „Ich will eine Frau sein.“
Ich hatte endlich ein bisschen Klarheit im Kopf. Es war fast so, als würde ich die Welt mit anderen Augen sehen. Trotzdem war immer noch die Angst in meinem Kopf, ich würde nicht so akzeptiert werden wie ich bin und dass mein Verhalten falsch sei. Doch in den kleinen Augenblicken, als ich Frauenkleidung trug, konnte ich der Realität kurz entfliehen. Ich beschloss also selbst ein paar Teile zu kaufen, ging in das Kaufhaus unserer Stadt und schlich heimlich in der Frauenabteilung herum. Schlussendlich kaufte ich mir ein gelbes Sommerkleid und dazu eine Geburtstagskarte als „Alibi“. Ich ging heim und als ich sicher war alleine zu sein, zog ich das Kleid an. Ich machte das Radio an und tanzte im Raum herum. In diesem Kleid fühlte ich mich für einen kurzen Moment frei, ehe die kalte Realität wieder zuschlug. Wie als würde meine Vernunft oder mein Gewissen mit mir reden, hörte ich auf einmal diese Stimme, die zu mir sagte: Dir ist bewusst, dass in den 70er/80er Jahren so ein Verhalten nicht üblich ist. Frauen sind Frauen und Männer eben Männer. Etwas anderes gibt es nicht. Das was du dort im Spiegel siehst, ist falsch. Das bist nicht du, versteh das doch endlich.
Es fühlte sich so an, als würden in meinem Kopf nur noch negative Gedanken herumschwirren. Ich hörte das Gelächter meiner Freunde in meinem Kopf, als sie mich so sahen und spürte die Angst vor der Reaktion meiner Eltern. Plötzlich dachte ich, dass mein Verhalten komplett falsch sei und zog deshalb das Kleid wieder aus. Ich wollte es verstecken, doch dann könnte es vielleicht jemand finden. Voller Panik ging ich in den Garten und verbrannte es an der Feuerstelle. Tränen flossen meine Wangen herunter, als ich zusah, wie ein Teil meines wahren Ichs vor mir verbrannte.
Aufgrund der Angst nicht so akzeptiert zu werden, wie ich bin, fing ich an, der damaligen Rolle des Mannes gerecht zu werden. Ich traf Frauen, führte sie aus, machte hin und wieder einen drauf mit meinen Jungs und versuchte meine andere Persönlichkeit zu unterdrücken. Und dann, dann heiratete ich. Die gelebte Rolle als Mann heiratete. Die starke Liebe zwischen meiner Frau und mir füllte ein großes Stück der Ungewissheit und machte es mir leichter meine Bedürfnisse zu ignorieren. Irgendwann gründeten wir eine Familie. Erst kam meine erste Tochter zur Welt und dann meine zweite. Ich wurde Papa. Ich war glücklicher als je zuvor in meinem Leben. Die Jahre vergingen wie im Flug und mir wurde bewusst, dass es mir immer schwerer fiel meine weibliche Seite zu unterdrücken. Um mit mir wieder im Reinen zu sein, fuhr ich oft an abgelegene Plätze und zog mich dort im Auto um, um für einen kurzen Moment als Frau zu leben. Dies ging viele Jahre so weiter, bis ich das Bedürfnis nicht mehr unterdrücken konnte. Es wurde größer und stärker und irgendwann zerplatzte es und wollte in jede noch so kleine Ecke meines Körpers. Kennt ihr das, wenn der Fuß eingeschlafen ist und es auf einmal total zum Kribbeln anfängt? Genauso fühlte es sich an. Aber auf eine gute Art und Weise. Dieses unfassbare Gefühl ging auch nicht mehr weg. Es war stetig da und immer, wenn ich vorspielte ein Mann zu sein, verwandelte es sich in Wut und Trauer. Ich fühlte mich in meinem männlichen Körper keineswegs mehr wohl. Ich nahm mir einige Wochen Zeit, um in mich zu gehen und zu erfahren, wer ich wirklich sein will. Wenn ich mir meine Zukunft als Mann vorstellte, umgab mich ein schlechtes Gefühl. Ein falsches Gefühl. Ganz im Gegensatz, wenn ich daran dachte, ab sofort als Frau zu leben. Mich in meiner Vorstellung als Frau zu sehen machte mich wieder glücklich und zu dem, was ich wirklich sein wollte. Ich sagte auf einmal unbewusst: „Ich will eine Frau sein! Ich bin eine Frau!“
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich mit meiner Familie reden muss und vor allem mit meiner Ehefrau. Das erste Mal in meinem Leben musste ich reinen Tisch machen und jemandem von meinem wahren Ich erzählen. Zu mir stehen und mich dadurch so zu akzeptieren, wie ich bin. Ich nahm also all meinen Mut zusammen und ging zu meiner Frau. Sie wusste bereits schon, dass ich hin und wieder Kleider oder Röcke trage, doch ich verkaufte meine Bedürfnisse bis dahin als eine Entspannungshandlung, um Stress abzubauen und der Realität zu entfliehen. Deswegen dachte sie, ich wolle trotz allem als Mann leben. Ich hatte Angst ihr die Wahrheit zu sagen und sie dadurch zu verlieren. Als ich ihr dann erzählte, wie ich mich fühle und dass ich in Zukunft mein Leben als Frau weiterführen möchte, brach ein Stück unserer gemeinsamen Welt zusammen. Sie liebte eben den Mann in mir. Natürlich konnte ich nicht von ihr verlangen, dass sie sich auch in die Frau, die ich sein will, verliebt.
Also beschlossen wir uns zu trennen, aber im Guten. Wir würden trotz allem immer füreinander da sein, für die Kinder da sein und vielleicht in der Zukunft mal Freunde mit einer wunderschönen Vergangenheit werden. Dieser Entschluss und das Wissen, dass ich sie nicht ganz verloren hatte, gab mir die Kraft meine weiteren Hürden zu überwinden. Eine der größten war es, mit meinen Kindern zu sprechen. Ich hatte im Internet schon viel darüber gelesen, wie sich Eltern vor ihren Kindern geoutet haben. Viele trafen auf Abweisung und Missverständnis von Seiten der Kinder. Doch meine Kinder akzeptierten mich so wie ich bin und als ich mich in der Öffentlichkeit als Frau vorstellte, traf ich auf positive Reaktionen. Anfangs war es noch ein bisschen ungewohnt, das gebe ich zu. Vor allem in meinem engeren Umfeld. Doch mit der Zeit wurde es normal. Es war normal für mich aufzustehen, mich zu schminken und vor dem Schrank zu stehen und zu überlegen, welchen meiner Röcke ich denn heute anziehen könnte. Meine Exfrau und ich sind mittlerweile auf einem guten Weg gute Freunde zu werden. Ich bin mittendrin mich auch körperlich in eine Frau zu verwandeln. Durch die Hormontherapie hat sich schon vieles an meinem Erscheinungsbild geändert, sowie auch an meinen Gefühlen und Sichtweisen. Letztens musste ich bei einem Liebesfilm zum Weinen anfangen, dass wäre mir früher nicht passiert. Bald habe ich auch schon hoffentlich einen neuen Ausweis mit meinem weiblichen Vornamen und meiner Operation steht fast nichts mehr im Wege. Doch ich habe noch eine Bitte an euch da draußen. Hört auf andere aufgrund ihres Aussehens, ihrer Sexualität und Herkunft zu beurteilen. Lasst jeden Menschen das machen, worauf er Lust hat, ohne andere zu belästigen oder verletzen. Seid ihr selbst und lebt euer Leben in vollen Zügen aus. Nichts macht einen glücklicher, als man selbst zu sein.
– Ich bin stolz auf dich Papa!